Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Sopron – Ihren Studienzeiten?
Unsere ersten drei Jahre an der Theologie – 1948 bis 1951 – haben wir in Sopron verbracht. Alles unter äußerlich einfachen Bedingungen: In der József-Attila-Straße war unser Wohnheim, wo wir – mal mit, mal ohne Kohlenheizung und einmal pro Woche mit warmem Wasser – lebten.
Wir waren 42 Studieren im Jahrgang. Und vielerseits wurde uns Verrücktheit attestiert, weil wir uns in einem atheistischen Staat für das Theologiestudium entschieden haben. Manche von uns hatten schon ein anderes Studium angefangen oder abgeschlossen, als sie an die Theologie kamen. Wir sind diese „Verrücktheit“ angegangen – und viele von uns standen unter dem Eindruck der damaligen Erweckungsbewegung. Alleine aus der Budapester Burggemeinde sind wir in meinem Jahrgang zu fünft an der Theologie gewesen. Es herrschte eine – ich bin geneigt zu sagen: naive – Begeisterung für die Theologie.
Bedeutend für mich und uns waren besonders die beiden Wohnheimdirektoren, von denen wir – jedenfalls ich – mehr gelernt haben als von den Theologieprofessoren. Der eine war Oskar Budaker, der auch eine Zeit lang Gemeindepfarrer der Soproner Gemeinde war. Nach ihm kam Imre Weöreös. Beide hielten Bibelstunden für jeden Jahrgang gesondert und prägten unser Glaubenslebens und theologisches Denken ganz maßgeblich.
Unter den 42 Mitgliedern des Jahrgangs gab es auch junge Damen. Ich nehme an, die damaligen Zeiten waren besonders für Theologiestudentinnen nicht leicht …
Ihnen wurde von Anfang an klar gemacht, dass die Kirche sie niemals anstellen würde. Am Anfang des Studiums hatten sie auch ein entsprechendes Papier zu unterschreiben. Freilich hatten auch wir zu unterschreiben, dass die Kirche keine Garantie für unsere Übernahme trägt, aber im Fall unserer weiblichen Mitstudierenden war klar, dass sie nicht die geringste Chance hatten. Ich habe ihre Ausgegrenztheit sowohl im Studium wie auch später immer außerordentlich bedauert, da sie unsagbar wertvolle Mitglieder unseres Jahrgangs und unserer Kirche sind. Sie hatten ein sehr schweres Schicksal.
Wie erging es jemandem, der durch die Erweckungsbewegung an die Theologie kam? Im wissenschaftlichen Studium erwartet einen ja doch vieles, was nicht nur erbaulich wirken kann.
In der Tat sind einige von denen ausgefallen, die durch die Erweckungsbewegung an die Theologie kamen. Durch die Trockenheit der Theologiestudiums und die Einsicht, dass die Bibel auch ein Lehrbuch und nicht nur Seelennahrung ist, haben sehr viele Schiffbruch erlitten.
Die aber geblieben sind, sind deshalb geblieben, weil sie die Theologie schätzen gelernt haben. Mein Glaube zum Beispiel wurde gerade dadurch bewahrt, dass ich Theologie studiert habe. Das Studium hat also die pietistische Frömmigkeit entweder umgestürzt oder bestärkt. Im Theologiestudium haben wir erfahren, dass unser Glaube Wurzeln bekommen hat. Und es gab selbstverständlich Gruppen: Es gab die Erweckungsbewegung und die „orthodoxe“ Gruppe, die Luthers Lehren der Erweckung häufig entgegengestellt hat. Und es gab die liberalen Theologen, die aber allesamt frühzeitig aus dem Studium ausgeschieden sind.
Die „Orthodoxen“ und wir „Erweckten“ sind uns aber recht bald nahegekommen und haben uns auch das angeeignet und zu schätzen gelernt, was der anderen Gruppe am Herzen lag. Wir kamen an den Punkt, dass wir Gegensätze durch Liebe überwinden wollten, damit Eintracht und Gemeinschaft unter uns herrsche. Ich kann sagen, dass all diejenigen, die bis zum Abschlussexamen vorgedrungen sind, am Ende des Studiums wirklich von beidem etwas hatten: Sie hatten etwas von der Begeisterung der Erweckungsbewegung und eine gut fundierte theologische Haltung.
Der Jahrgang von einst trifft sich auch heute noch jährlich in Balatonszárszó. Wie darf ich mir so ein Treffen vorstellen? Gibt es viel Nostalgie?
Natürlich berichten wir einander darüber, welche Neuigkeiten es in unseren Familien gibt. Aber wir sind auch eine geistliche und theologische Gemeinschaft: So gibt es selbstverständlich Morgen- und Abendandachten, und wir arbeiten immer auch theologisch miteinander. So gibt es Themen, zu denen wir uns gegenseitig Vorträge halten. Besonders wichtig zu sagen ist, dass uns ein sehr herzliches Miteinander verbindet.
Diesem in Herzlichkeit verbundenen Jahrgang gehörte auch János Szimon an. Wie denken Sie an ihn zurück?
János gehörte eigentlich interessanterweise zu keiner der genannten theologischen Gruppen. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, dass ich ihn bisweilen als etwas verschlossen erlebte. Doch erwähnt sei in jedem Falle auch sein feiner und hintersinniger Humor. János war ausgesprochen fleißig und hatte eine sehr schöne Schrift, was auch dazu führte, dass wir mehrfach aus seinen Heften lernen durften. Auch war er sehr musikalisch und spielte gerne Geige.
Und kam er von Zuhause an die Theologie, hat er uns alle bedacht: Man muss dazu wissen, dass die Verpflegung im Wohnheim nicht immer die beste war. Und so war es immer etwas Besonderes, wenn eines der Dorfkinder – János gehörte zu ihnen – gute, bodenständige Nahrung von Zuhause mitbrachte. Wenn János echte schwäbische Wurst dabei hatte, war das für uns alle ein Ereignis.
János sprach von Haus aus deutsch, und hat uns bei Übersetzungen von deutschen Texten gern geholfen. Er hatte gute Kontakte mit allen Studenten. Er war unser guter Freund.
Ihre eigene Pfarrerlaufbahn war auch von politischen Konflikten nicht frei. Gab es Momente, in denen Sie daran zweifelten, dass Sie den Pfarrdienst je wieder ausführen können?
Ja, es gab Zeiten, in denen ich nicht glaubte, wieder als Pfarrer Dienst tun zu können.
Ich wurde von einem Tag auf den anderen im Jahre 1961, von der Budapester Burggemeinde nach Kissomlyó versetzt. Wir hatten schon zwei Kinder, und meine Frau Márta unterrichtete hier in Budapest.
Ich reiste mit einem Koffer nach Kissomlyó und dachte, solange wird das nicht dauern. Dort gab ein Zimmer mit Waschbecken und Bett – und von meinem Gehalt konnte ich kaum eine gelegentliche Heimreise finanzieren. Jeden Tag kochte jemand anders aus der Gemeinde für mich, und lud mich zum Mittagessen ein. Das dauerte ein halbes Jahr. Dann ging ich zu Bischof Vető, der meinte, man könne nichts machen, weil meine Versetzung eine Entscheidung des Staatlichen Amtes für Kirchenfragen sei. Dort wiederum sagte man mir, dass der Einsatz von Hilfsgeistlichen wie mir eine Obliegenheit des jeweiligen Bischofs sei – in so etwas redete man amtlicherseits nicht hinein. Ich sah ein, dass die Situation ausweglos ist, und bat Bischof Vető mich freizustellen, damit ich mir eine Anstellung in Budapest suchen kann.
Das hat er angenommen, wie ich meine, mit Freude, bedeutete das für ihn doch, eine Sorge weniger zu haben. Ich erlebte bald an eigener Haut, dass man mit einer Vergangenheit als Pfarrer nirgendwo leicht Arbeit finden konnte. Schließlich entsandte mich das Amt für Arbeitsvermittlung zur Medikamentenfabrik nach Kőbánya. Dort also wurde ich mich dem Übersendungspapier der Arbeitsvermittlung vorstellig.
Der Personalchef wollte mich nicht einstellen und fragte: „Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?“ Ich entgegnete ihm: „Ich würde in einem Arbeiterstaat demjenigen Arbeit geben, der arbeiten will.“ Ein gut sozialistischer Text – und ich kam in die Abteilung „Chemie IV“ der Medikamentenfabrik, eine Art Sträflingsabteilung, denn hier hatte man mit gefährlichen Substanzen zu arbeiten. Wir arbeiteten wegen der hohen Explosionsgefahr draußen.
Schließlich meldete ich mich zu einem zweijährigen Facharbeiterlehrgang an, den ich erfolgreich abschließen konnte. Als Facharbeiter konnte ich mich zum Technikerlehrgang innerhalb dieser Fabrik anmelden – und auch diesen Lehrgang konnte ich erfolgreich abschließen.
So entkam ich dem Schrecken der Abteilung „Chemie IV“ und kam in die eleganteste Abteilung, dorthin, wo die Tabletten hergestellt werden. Dort stand ich also überdacht und in weißem Umhang. Und dort wurde ich zum schichtleitenden Techniker – über mir stand also hierarchisch nur noch der Apotheker.
Inzwischen löste sich auch kirchlich die widrige Situation ein wenig, und ich durfte sonntags wieder in Diasporagemeinden predigen.
Doch ehe ich wieder als Pfarrer der Budapester Burggemeinde tätig werden konnte, führte mich mein Weg noch nach Budakeszi. Dort suchte das immunologische Forschungsinstitut der Ungarischen Wissenschaftlichen Akademie einen Techniker. Der Direktor empfing mich und wollte mich einstellen, wenn ich nicht weiter als Pfarrer tätig bin. Er war bereit, mir alles zu erstatten, was mir dieser Schritt an finanziellen Einbußen im Vergleich zu einem ordentlichen Pfarrersgehalt gebracht hätte. Doch ich sagte: „Danke, ich will nicht.“ Darauf sagte er: Wir brauchen aber doch einen Techniker – und er nahm mich, auch unter Beibehaltung meines Pfarrerstatusses als Assistent eines Forschungsarztes auf. Auch diese Zeiten waren für mich sehr bereichernd.
Im Jahre 1967 konnte ich wieder in den Pfarrdienst zurückkehren. Das erlebte ich als ein Wunder Gottes. Jetzt genieße ich die schönen Jahre des Ruhestandes. Ich bin dankbar für alles. Soli Deo Gloria!